Auf die hier oft gestellte Frage nach dem Herkommen der Kapitelle und der Bedeutung ihrer Reliefornamente mit Buchstaben, Worten und Namen, besonders der der beiden orientalischen Ströme Euphrat und Ti(E)gris, soll an dieser Stelle kurz eingegangen werden.
Die Kapitelle lagen eine Zeitlang auf einem Trümmersammelplatz in Hannover. Sie bekrönten vorher je eine Säule unter den Arkaden im nördlichen und südlichen Kreuzschiff der Garnisonkirche am Goetheplatz und sind der Rest von 12 solcher Kapitelle aus dem Mittel- und Querschiff dieser Kirche, die nach Entwürfen und Bauplänen das Berliner Architekturprofessors Christph Hehl in den Jahren 1891/96 erbaut war.
Da die Kirche im zweiten Weltkrieg sch er zerstört war, sah man von einem Wiederaufbau ab, zumal es sich um kein historisch bedeutendes Bauwerk handelte. Für Torsoreste aus ihm hatte man daher dort keine Verwendung mehr und bot diese, als der Trümmerlagerplatz geräumt werden mußte, der Stadt Hildesheim an.
Hildesheim übernahm zwei Kapitelle
Das Hildesheimer Stadtbauamt übernahm zwei, allerdings auch beschädigte Kapitelle und ließ diese auf den Baulagerplatz zu gelegentlicher Wiederverwendung schaffen, die aber auf sich warten ließ. Bau- und Kunstdenkmalreste „Wilhelminischer Neuromanik", die an Bauornamenten - so auch in der Hannoverschen Garnisonkirche - teilweise nachbildete, was die Steinmetzkünstler der „Königslutterer Schule der hochromanischen Bauperiode in der niedersächsischen Baulandschaft an ornamentalen Formenreichtum vor 750 bis 800 Jahren schufen, waren nicht gefragt.
Erst die Neugestaltung des Vorplatzes der Volksbank brachte eine sinnvolle Wiederverwendung der an der Kämpferplatte über 1 Quadratmeter großen Kapitellblöcke als Springbrunnen.
Sinnvolle Nutzung als Springbrunnen
Dieses Sinnvolle ist am vorderen Kapitell klar erkennbar: Auf den vier Ansichtsflächen ranken aus dem Säulenhalsring, mit dem die Kapitelle im Brunnenbecken stehen fächerartige Palmetten - und Akanthusblatt-Verschlingungen empor, zwischen die flächenfüllend noch ornamentierte Blattzungen eingeführt sind. Darüber sind nach allen vier Seiten männliche Oberkörperfiguren - leider beschädigt - dargestellt, die Wässerkrüge mit ausfließendem Wasser in den Armen halten.
Ähnliche Figuren zeigen drei mittelalterliche Kunstwerke in Hildesheim: die Basisplatte der Bronzesäule Bernwards im Dom (1022), die Trägergestalten des Erztaufbeckens (etwa 1226), und vier Umrahmungsbilder des westlichen großen Mittelbildes, des Paradjesbildes im Deckengemälde des „Jesseboomes" in der Michaeliskirche (1230/40).
Die vier figürlichen Darstellungen, so auch am Springbrunnenkapitell, habenbiblisch-symbolische Inhalte: Über den Skulpturen, sind die Namen der vier Urströme „Geon", „Phison", „Euphrat" und „Ti(e)gris" eingeschnitten, die im Schöpfungsbericht des Alten Testaments bei der Schilderung des Paradieses genannt sind. Diesen vier „Paradiesströmen werden bestimmte Tugenden zugewiesen, wo die Umschrift am unteren Rande des Domtaufbekkens über den Trägerfiguren als Personifikationen dieser Ströme erkennen läßt.
Namen der vier biblischen Urströme
Im lateinischen Text, übersetzt, heißt es: „Die Mündung des Geon ist der Mäßigkeit Sinnbild; reißend ist der Tigris, die Bezeichnung der Tapferkeit, Fruchtbarkeit spendet Euphrat, auch als Gerechtigkeit angesehen, die wechselnde Mündung des Phison ist der Klugheit vergleichbar.“ Diese Sinnbilderklärung - so auch für das Kapitell - geht also ins 11. bis 12. Jahrhundert zurück.
Symbole für die Tierwelt im Wasser
Über den Namen der Urströme sind je zwei durch Ornamentbänder am Hals verbundene „Paradiesvögel mit langen Deckschwingen dargestellt, Sinnbild für die erschaffene Tierwelt im lebensspendenden Wasser des Paradieses. Als abschließendes Ornament umläuft oben die Kämpferplatte ein Relieffries von Noppen und Zacken, über die das Springbrunnenwasser als Vollendung der künstlerischen Symbolik wie ein natürliches Abbild des Paradieswassers herabfällt.
Das hintere Springbrunnenkapitell zeigt als figürliches Hauptomament an den viern Ecken unter flächenartig aufragenden Engelsschwingen vier schräggestellte, stark verstümmelte Engelsköpfe mit aufgeblasenen Backen, „Windpusteköpfe“, die Himmels- und Windrichtungen andeutend. Entsprechend den Name der Paradiesströme sind hier über den Blattomamenten Buchstaben und Worte eingeschnitten, die die Himmelsrichtungen angeben.
Aus den Omamentschlingen rankt ein sich teilendes Akanthusrelief mit aufgerichteter Mittelblüte als Flächenfüllung heraus. Die Ansichtseiten über den Windrichtungsnamen und Buchstaben sind nochmals mit flachliegenden, am Ende spiralig auslaufenden Akanthusranken geschmückt. Das nach oben abschließendende Ornament ist an dieser Kämpferplatte ein umlaufender Kugelfries.
Schlußbemerkung
In der Festschrift über die Hannoversche Garnisonkirche, die nur ein halbes Jahrhundert alt wurde, nennt Professor Hehl für die Entwürfe der Symbolornamente Professor Dopmeier (Berlin) und für die Ausführung der sehr rofilierten und symmetrischen Reliefarbeiten die Steinmetzmeister Gundelach und Dag. Weitere Auskünfte gaben das Hildesheimer Denkmalpflegeamt, Diplom-Bauingenieur Fleige und Diplom-Bauingenieur Haagen sowie die Volksbank Hildesheim.
Karl Sievert